Stiftungshorizont

Vom Vorsorge-Prinzip zur Wiederentdeckung der Allmende
Vorüberlegungen zur ‘Not-wendigen‘ Erneuerung eines Gesellschaftsvertrages für das 21. Jahrhundert.
(aus dem Vorwort von Kant, das Prinzip ‚Vorsorge’ und die Wiederentdeckung der ‚Allmende’)

Wissenschaft
Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.
Friedrich Schiller, Xenien

"Das Recht muß nie der Politik,
wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden"
I. Kant, Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen

1. Das ‚Vorsorge-Prinzip’ und sein Janus-Gesicht

In einer Welt zunehmenden Bevölkerungswachstums bei gleichzeitig zur Neige gehender wichtiger Natur-Ressourcen wird Vorsorge immer erkennbarer zum Überlebensprinzip. Doch was soll inhaltlich unter dem ‚Prinzip der Vorsorge’ verstanden werden? Dieser Begriff hat ein Janusgesicht. Der Inhalt changiert je nach Perspektive zwischen bewahrender Fürsorge, Investition in eine ökologische Kreislaufwirtschaft, liberalistischem Bauen auf stetiges Wirtschaftswachstum und einem abwehrenden Zuvorkommen gegenüber unerwünschten Ereignissen bzw. Entwicklungen. 1
So kam es im März 2003 zu einem Krieg gegen den Irak, der von den Angreifern als Prävention gegenüber einer "hochgerüsteten Diktatur" und ihren angeblichen Verbindungen zur terroristischen Al Quaida gerechtfertigt wurde, während die Kritiker seine Funktion eher in einem strategischen Zugriff auf ein Zentrum der Erdölförderung im Nahen bzw. Mittleren Osten sahen.
Heute erweist sich diese präventive Maßnahme als schwere Hypothek für die Zukunft der Beziehung zwischen der westlichen und der islamischen Welt - mit verheerenden Folgen für Leib und Leben unzähliger Menschen und teurer Bindung militärischer Kräfte.
Von dem Plan der US-Regierungen unter R. Reagan und später unter G. W. Bush für den Aufbau eines vorbeugenden militärischen Abwehrsystems im Weltall liest man verständlicherweise seit dem 11.Sept. 2001 relativ wenig, während globale militärische Einsätze zur Sicherung der Rohstoffversorgung des Westens inzwischen zur präventiven Sicherheitsdoktrin der Nato gehören.(So zählt - nach den Ausführungen des früheren Verteidigungsministers Peter Struck vom 9.11.2004 anlässlich des 15. Forums Bundeswehr & Gesellschaft der Welt - " der Schutz der Energie- und Rohstoffversorgung" zu "den Interessen", die " die "geografischen und materiellen Grenzen des europäischen sicherheitspolitischen Engagements bestimmen - in Europa, in Afrika und darüber hinaus.")

Im Sinne von Vorsorge soll nun eines der größten Naturschutzgebiete der nördlichen Sphäre in Alaska zur Vermeidung absehbarer zukünftiger Engpässe bei der Ölversorgung der USA geopfert werden. Und -angeblich zur Prophylaxe einer vermuteten Zuspitzung in der zukünftigen Ernährungslage der sich rasch vermehrenden Weltbevölkerung -arbeiten Forschungslabore, Saatgutkonzerne und eine industrialisierte Agrarwirtschaft an einer mittels gentechnischer Eingriffe erstrebten Ertragssteigerung bei landwirtschaftlichen Produkten.
Die gesellschaftliche Vorsorge orientiert sich also zunächst in der Regel an Inhalten wie der Energie-, Nahrungsmittel- und Rohstoffversorgung von Staaten und ihren Bevölkerungen sowie deren militärischer Sicherung.
Wissenschaft und Politik fühlen sich dabei berufen, die richtigen Vorsorgemaßnahmen für die prognostizierten Probleme unserer Zukunft bereitzustellen.
Zu fragen wäre freilich, ob nicht das "Wie" der Vorsorge mehr Beachtung verdiente und eine differenzierte Analyse und Umsetzung dieses Aspektes mehr zum Gelingen von Vorsorge beitragen könnte als das bloße "Was" mit seinem direkten (und oft danebenzielenden) Zugriff.
In einer Welt, in der wissenschaftliches, wirtschaftliches und politisches Handeln immer häufiger globale Wirkungen entfaltet, sehen sich die Industrieländer der nördlichen Halbkugel immer öfter mit der Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit konfrontiert. Sie, die einerseits Gewaltlosigkeit, Achtung der Menschenrechte und Demokratie bzw. Rechtsstaatlichkeit einfordern, müssen sich andrerseits einen enormen Verbrauch der natürlichen Ressourcen der Menschheit vorhalten lassen, der auf strukturelle Weise zu großen Ungerechtigkeiten führt. Ressourcenhunger macht die Welt friedlos.
Prof. Dr. Klaus Töpfer, ehemaliger Direktor der UNEP, brachte in seinen Laudationes zur Verleihung des Kant-Weltbürger-Preises 2006 deshalb den Begriff der Vorsorge in Verbindung mit Kants kategorischem Imperativ. Dieser gibt uns bis heute eine erste verbindliche und unabweisbare Antwort auf die Frage des "Wie". Töpfers Empfehlung: Kants kategorischen Imperativ nicht nur zu zitieren, sondern ihn im Alltag des politischen (u. wissenschaftlichen) Handelns auch wieder anzuwenden! Damit ist allerdings die Frage des Präsidenten des Wuppertaler Instituts, Peter Hennicke, noch nicht beantwortet, die er in seinem Vorwort zum Report des Institutes mit dem Titel Fair Future stellt:
Muß man die Ökologie opfern, um mehr Gerechtigkeit zu haben, oder die Gerechtigkeit opfern, um mehr Ökologie zu haben?" Noch verheißen die führenden Kräfte in der Weltwirtschaft den Siegeszug der ersten Option. 2
Doch wenn man bedenkt, dass gerade für die weniger kaufkräftigen Bevölkerungsgruppen erschwingliche Basisversorgung mit Wasser, Energie, Biodiversität (inklusive Saatgut) sowie Gesundheit und Bildung lebenswichtig bleibt, Lebensqualität darüber hinaus aber nur begrenzt vom Lebensstandard abhängt, weil das subjektive Wohlergehen über diesen ab einer bestimmten Stufe nur noch unwesentlich zu steigern ist, dann führt die Übernutzung der Natur und der Ressourcen andrer Völker in Wahrheit - wie Klaus Töpfer einmal gesagt hat -, in eine Wohlstandslüge.
Angesichts der dramatischen Veränderungen des Weltklimas und einer absehbaren Verschlechterung der Lebensqualität auch unserer eigenen Nachkommen wird der Rückbau des Ressourcenverbrauchs und deren intelligentere, schonendere, nachhaltigere Nutzung (zunächst in den reichen Ländern) zum kategorischen Imperativ einer Ressourcengerechtigkeit. Diese wiederum ist unverzichtbar, wenn die Menschheit die Stärke des Rechts statt das Recht des Stärkeren wählen will, um als Gattung mittels Kultur zu überleben.

Zum 2. Teil

1  Ein frühes Beispiel nachhaltiger Vorsorge wird uns vom Alten Testament überliefert, wenn Josephs Traum den Pharao veranlasst, die Bevorratung von Getreide für Zeiten der Dürre zu organisieren. Es gilt zugleich als eine Erklärung für Entstehung bzw. Legitimation von Herrschaftsmacht in den ersten Staaten der Menschheitsgeschichte.

2  Soeben hat ausgerechnet der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern den Charakter der ‚Milchmädchen-Rechnung’ dieser Option bloßgestellt, indem er in einer von der britischen Regierung in Auftrag gegebene Studie darlegt, dass die internationale Wirtschaft ein Einbruch um 20 % drohe, falls der umweltzerstörerische Ressourcenverbrauch und der damit einhergehende Klimawandel nicht in nächster Zeit durch massives Umsteuern gestoppt werde. Die Industrieländer müssten bis 2050 ihren CO2-Ausstoß um 60-80 % verringern.