Weltinnenpolitik - und die Not-wendigkeit eines erneuerten Gesellschaftsvertrages für das 21. Jahrhundert (Ein Entwurf)

(Das "Familiensilber" wird weiter verscherbelt, und hohe Hypotheken lasten auf dem "gemeinsamen Haus")

Der Beginn menschlicher Zivilisation datiert - zumindest aus europäisch- abendländischer Sicht - seit dem "Ende des Naturzustandes", in dem der Mensch noch jedes Recht zur Selbsterhaltung beanspruchte und nutzte und so - nach Hobbes - in einem potentiellen "war of everyman against everyman" lebte. Der "Prozeß der Zivilisation" (Norbert Elias) ging einher mit einer Geschichte der Verrechtlichung bzw. Konstitutionalisierung; er setzt und setzte einen Gesellschaftsvertrag voraus. Nach Hobbes rettet der Mensch auf diese Weise seine vernünftige Einsicht in "die beiden ersten natürlichen Gesetze". (1. Suche Frieden und jage ihm nach! 2. Gehe von Deinem Recht auf alles ab!"), rettet sie vor den Rückfällen in seine "natürlichen Leidenschaften, dem Zorne, Stolze und den Begierden aller Art ...".
Vernünftige Einsicht wird institutionell arretiert!
"Der Mensch vermag sich also selbst zu überlisten und die Gefährdungen der Subjektivität durch Institutionalisierungen zu bändigen" (S. 51) schreibt Otfried Höffe in "Demokratie im Zeitalter der Globalisierung".
Er wendet allerdings ein:
"Die philosophische Tradition spricht hier etwas mißverständlich von einem Gesellschaftsvertrag. Zu begründen ist aber nicht die Gesellschaft, sondern die bürgerliche Gesellschaft im Sinn der societas civilis, des politischen Gemeinwesens." (S. 48) "(...) Nur wenige Staaten entstehen nämlich durch Vertragsschluß; und selbst sie erwarten den Rechtsgehorsam späterer Generationen, bevor diese den Vertrag erneuern (...)." (S. 49)
An dieser Stelle sollte man sich bewusst sein ,dass der Begriff des Gesellschaftsvertrags (wie der der Allmende /des common ) zwei Dimensionen auf- weist : eine empirisch gespeiste der konkretisierbaren historischen Erfahrung (bei Th. Hobbes angesichts des Bürgerkrieges in England u. des Dreißigjährigen Krieges auf dem europäischen Festland) und eine ideell konstruierte der prinzipiell- systemischen Einsicht im Sinne I.Kants.Die letztere Dimension des Gesellschaftsvertrages verdeutlicht Höffe wie folgt:
"Der politische Urvertrag ist ein virtueller Vertrag, der die primäre, rechts- und staatslegitimierende Gerechtigkeit: die Rechtmäßigkeit von Recht und Staat überhaupt, ausweist." (S. 49) und er ergänzt:
"Wie Kant richtig sieht, wird (aber) der ursprüngliche Vertrag von "allen" im doppelten Sinn von "omnes et singuli" abgeschlossen (Rechtslehre, § 47; VI 315): von allen zusammen und zugleich (...)." (S. 54)
"Und daraus folgt die universale Zustimmungswürdigkeit des legitimatorischen Vertrages: Er richtet sich auf ein Allgemeininteresse ("omnes" bzw. "volenté générale"), in dem sich jeder einzelne ("singuli" bzw. "volenté de tous") wiederfinden kann." (S. 55)
Auch für unsere heutige Situation gilt es, diese beiden Dimensionen zu ‚realisieren’. Zurückgeworfen auf die empirischen Probleme unserer Tage (Klimachaos,Abschmelzen der Polkappen,Überfischung u.Kontaminierung der Meere,Vernichtung von Artenvielfalt bei gleichzeitiger Patentierung von Leben,Millionen an Hunger u.Wassermangel sterbender Menschen,zunehmende große Migrationswellen,Ressourcenkriege)stellt sich uns die Frage:
Steht dieser "Prozeß der Zivilisation" und Verrechtlichung (der nach N. Elias ja zugleich oder zuvor ein Prozeß der Verinnerlichung ist) jetzt - angesichts der an ihre Grenzen kommenden natürlichen Ressourcen bei einer sich zugleich weiterhin massiv vermehrenden Weltbevölkerung mit steigenden materiellen Ansprüchen - steht er vor seinem Ende?
Droht uns ein Rückfall, ein neuer Überlebenskampf mit einer ‚Naturalisierung der Geschichte’, ein globaler "Krieg aller gegen alle"?
Der jüngste Leibniz-Preisträger Gerald Haug vom Geoforschungszentrum Potsdam warnt: "Wir sind auf dem Weg zurück ins Pliozän ... Die Frage ist: Wollen wir wirklich dorthin?" und Stefan Rahmstorf, Wissenschaftler für physikalische Ozeanographie in Potsdam erläutert im FAZ-Feuilleton vom 10. April 2007: "Der IPCC-Bericht diskutiert zum Beispiel das Pliozän vor drei Millionen Jahren, als bei einer CO2-Konzentration um die 400 ppm die Temperaturen global rund zwei bis drei Grad höher lagen als derzeit: in mancher Hinsicht ein Muster für das, was auf uns zukommt." Und er hält fest, daß der IPCC-Bericht zu dem Ergebnis kommt, "dass wir zu mindestens neunzig Prozent sicher sind, dass die Klimaerwärmung der letzten fünfzig Jahre überwiegend von uns Menschen verursacht worden ist."
Gibt es dafür strukturelle Gründe?
Erhard Eppler nennt in seinem Suhrkamp-Band "Auslaufmodell Staat?" aus dem Jahre 2005 den vermutlich wichtigsten: "die neoliberale Version der Globalisierung", sprich: die "Weltherrschaft" des derzeitigen westlichen Wirtschaftsmodells, das nach Eppler mit einem zunehmenden Staatszerfall einhergeht; das aber heißt: mit einer Auflösung staatlicher Gewaltmonopole und ihrer Legitimation durch Gemeinwohlorientierung und -bindung.
Mit dem Festhalten am Gewohnten und der bloßen Restaurierung von Altbewährtem wird man einer sich verselbständigen Dynamik der Globalisierung und den sie begleitenden zentrifugalen Kräften neoliberaler Privatisierung freilich kaum mehr Herr werden. Eine Renaissance staatlicher oder gar nationalstaatlicher Gewalt wäre für sich genommen also keineswegs das Allheilmittel. Das lehrt uns bereits jener furchtbare Rückfall in die Barbarei mittels der Exzesse staatlichen Terrors der NS- Diktatur und des Stalinismus im 20. Jahrhundert. Ein ziviles Zusammenleben aller Menschen auf dem Planet Erde unter den verschärften Bedingungen des 21. Jahrhunderts bedarf tiefergreifender Veränderungen. Eine Weltinnenpolitik im Sinne Carl Friedrich von Weizsäckers und Willy Brandts ist das Gebot der Stunde für unseren kranken Planeten. Doch worauf soll sie gründen? Auf immer monströserer "Medikation" von Technik mit imperialer Dimension wie Weltraumspiegeln und Wolken aus Nanopartikel-Staub? Auf Verdrängung und Verleugnung struktureller, sozialer und politischer Mängel mit der Folge eines Welt-Bürgerkriegs (Gíorgio Agamben)? Sollte die Größe und Einmaligkeit der sich vor uns auftuenden Bedrohung und Herausforderung nicht eher dazu Anlaß geben, Erfahrungen (womöglich von archetypischer Qualität) mit Sachverstand und Phantasie zu paaren, um die Not-wendigkeit eines erneuerten Gesellschaftsvertrages für das 21. Jahrhundert zu erkennen und so eine neue prinzipielle und systemische Antwort zu finden?
Wie könnte dieser Gesellschaftsvertrag aussehen?
Kants Abhandlung "Zum ewigen Frieden" harrt noch immer der Umsetzung! Nur, daß Weltinnenpolitik heute mehr bedeuten muß als die Verrechtlichung der Beziehungen von Staaten! Die existentielle Abhängigkeit jedes einzelnen von Gemeinschaftsgütern wie der Atmosphäre, den Meeresströmungen, dem Klima, den Trinkwasser- und Energievorräten, dem gesammelten Wissen und Know-how der Menschheit, also die Abhängigkeit jedes einzelnen vom gemeinsamen Natur- und Kulturerbe macht diese Gemeinschaftsgüter zu "Über-lebens-mitteln". Der Wert des Privateigentums als Begriff und Organisationsform ist zu überdenken. Kants "Antagonismus der Freiheit" kommt hier an ein Ende. Als Freiheit konkurrierender anonymer Besitz-Bürger und Shareholder transnationaler Konzerne ist ihr Antagonismus "ungeselliger Geselligkeit" tendenziell "organisierte Verantwortungslosigkeit" geworden.
Die Rückbesinnung auf den ursprünglich treuhänderischen Auftrag von Privatbesitz erzwingt zugleich die Wiederentdeckung seines vergessenen Geschwisterteils, der ‚Allmende’ ("common"). Deren globale Not-wendigkeit als Rechtsmodell wäre deduktiv zu entwickeln, deren regionale Bedeutung als Organisationsprinzip, als Verantwortung und Identität stiftende "Wurzelkraft" wäre induktiv neu zu buchstabieren und zu entfalten,um eine ökologisch verträgliche Ressourcengerechtigkeit zu realisieren. Angesichts der sich auftuenden Diskrepanz zwischen wissenschaftlich erkannter Problemlage und politisch- wirtschaftlicher Angst-Starre wären solche Anstrengungen den Schweiß der Klügsten und Tüchtigsten wert.